Nein, eine Entsendung ist keine verlängerte Geschäftsreise!
Eine Entsendung ist sehr viel mehr als ein normaler Umzug an einen anderen Standort. Es ist ein Prozess, der sich über die gesamte Entsendedauer hinzieht und nachhaltig begleitet werden sollte. Abgebrochene Entsendungen oder Kündigungen kurz nach der Rückkehr kosten jedes Unternehmen ein Vielfaches der Summe, mit der eine individuelle Vorbereitung und kontinuierliche Begleitung zu Buche schlägt.
Vor gut 10 Jahren veröffentlichte die Berlitz School eine Studie wie es um die interkulturelle Vorbereitung für Entsendungen steht und kam zu dem Ergebnis: „Die meisten Menschen bereiten sich für eine Urlaubsreise gründlicher vor, als für eine berufliche Station im Ausland!“ Die Situation hat sich aus unserem Erleben etwas verbessert, dennoch sind weiterhin erstaunliche Argumente zu hören, warum eine interkulturelle Vorbereitung auf eine Entsendung nicht nötig sei. Häufig genannt wird „der Mitarbeiter kennt das Land, er war mehrfach auf Geschäftsreise vor Ort …“ oder „die Familie benötigt bestimmt keine Vorbereitung, die Kinder sind viel zu klein und die Ehefrau wird vor Ort nicht arbeiten …“. Und natürlich gibt es kostenfreie Angebote wie „die chinesische Kollegin aus dem Marketing erklärt unserem Mitarbeiter die wichtigsten Themen …“ oder „viele Informationen kann man ja bei Bedarf im Internet recherchieren.“
Ratschläge ersetzen kein interkulturelles Training
Klar kann man in unzähligen Ratgebern nachlesen, wie eine Visitenkarte zu überreichen ist, welche Gastgeschenke mitgebracht werden können und welche Small-Talk-Themen opportun sind. DAS sollten jedoch keine Themen einer interkulturellen Vorbereitung sein und wenn, dann höchstens als Auflockerung angesprochen werden! Und sicher kann die chinesische Kollegin einige Ratschläge geben. Aber erlebte Geschichten ersetzen kein interkulturelles Training, in dem es um die Bearbeitung und Erarbeitung konkreter Lösungsstrategien für genau den betroffenen Mitarbeiter gehen soll. Kann die chinesische Kollegin wirklich einschätzen, ob sich die deutsche Projektleiterin eher leicht oder schwer tut, „gesichtswahrend“, „beziehungsorientiert“ und vor allem indirekt zu kommunizieren?
Neue Rolle für Expats
Eine Entsendung ist keine verlängerte Geschäftsreise. Das heißt, selbst wenn der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin die Kollegen und Mitarbeiter und einige Kunden vor Ort kennt, ändert sich die Rolle, in der er oder sie nun zukünftig unterwegs sein werden. Als Expat ist man immer die/der Vertreter*in der deutschen Zentrale für die kommenden zwei oder drei Jahre und somit die / der wichtigste Repräsentant*in des Unternehmens vor Ort. Man ist nun auch Ansprechpartner*in für externe Kontakte, wie Behördenvertreter, wichtige Kunden, Banken oder Netzwerkpartner. Werden in der internen Zusammenarbeit kleinere (oder größere) Fettnäpfchen oder gar Fehler im Umgang entschuldigt, so kann der kulturunsensible Umgang mit wichtigen Kund*innen oder Behördenvertretern spürbare Konsequenzen für das Unternehmen haben.
So zeichnet sich eine mehrjährige Entsendung durch diese Gesichtspunkte aus:
- Großes Aufgabenspektrum mit hoher Verantwortung.
- Verlust des sozialen Umfeldes durch den internationalen Umzug und somit ein völlig unbekanntes privates Umfeld für die ersten Monate.
- Der mitausgereiste Partner / Partnerin hat ggfs. eine erfolgreiche Berufstätigkeit aufgegeben, Kinder müssen auf eine fremdsprachliche Schule wechseln und verlieren ihr eigenes soziales Umfeld. Das bedeutet eine hohe familiäre Belastung. Neben den veränderten beruflichen Aufgaben sieht sich der Mitarbeiter mit den Herausforderungen konfrontiert, dass der mitausgereisten Familie die Integration im neuen Umfeld gut gelingt.
- Individuelle Belastung mit anderen Mentalitäten umgehen zu müssen, täglich ggfs. in einer Fremdsprache kommunizieren zu müssen und dennoch den hohen Anforderungen aus der Zentrale zu genügen / Umgang mit Intransparenz, weil regionale Strukturen nicht bekannt sind.
- Hohe physische und psychische Belastung (Klima, längere Arbeitszeiten, Verkehr, Sicherheits- und Gesundheitssituation vor Ort, usw.
Eine gute Vorbereitung und Begleitung als Basis für eine erfolgreiche Entsendung
Die Zufriedenheit der mitausreisenden Familie ist für die entsandten Mitarbeiter der wichtigste Faktor für eine gelingende Entsendung. Daher ist es unumgänglich, die Erwartungen der begleitenden Familie im Vorfeld zu klären.
Ein interkulturelles Training sollte integraler Bestandteil einer jeden Entsendung sein. Hier geht es um Strategien, wie die / der Entsendete der neuen Aufgabe gerecht werden kann. Es geht um Themen der sozialen Integration und darum, Handlungsalternativen für den privaten Bereich ausprobieren und erleben zu können. Es berücksichtigt, ob die Familie mit ausreisen wird und welche Familienmitglieder betroffen sind. Kinder ab 6 Jahren nehmen im allerbesten Fall an einem auf sie zugeschnittenen Kindertraining teil – so können Eltern und Kindern parallel in „eigenen“ Seminaren arbeiten und sich zum Abschluss austauschen.
Rollenspiele für eine gelungene Vorbereitung
Eine gute interkulturelle Vorbereitung auf eine Entsendung stellt den jeweiligen Mitarbeiter mit der neuen Position im Ausland und den neuen Aufgaben vor Ort in den Mittelpunkt. Konkret könnte ein Thema sein, wie die / der Mitarbeiter*in Beziehungsorientierung in Gesprächen mit lokalen Mitarbeitenden oder externen Partner*innen umsetzen kann. Konkrete Situationen werden im Rollenspiel geübt und ausprobiert. Denn nur so die Teilnehmenden herausfinden, wie ihre individuelle Art von beziehungsorientierter Gesprächsführung aussehen kann und wo jeder an persönliche Grenzen stößt.
Optimal ist, das vorbereitende interkulturelle Training im Gastland fortzusetzen. So wünschen sich mehr als zwei Drittel der Entsandten eine kontinuierliche interkulturelle Begleitung, einen kompetenten Sparringspartner, um erlebte Situationen gemeinsam reflektieren zu können – dieses ist noch immer die absolute Ausnahme.
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